Evangelische Religionslehre

Wir müssen davon ausgehen, dass es heute in der Regel keine religiöse Sozialisation mehr gibt. Die Grundlagen des Christentums werden heute selten in der Familie, im Kindergottesdienst oder Kindergarten vermittelt. Eine ernsthafte Beschäftigung und Auseinandersetzung mit typisch religiösen Positionen, mit Glaubensfragen und -inhalten lohnt scheinbar nicht mehr. So sind bei den Schülern erhebliche Defizite bei der Kenntnis der Bibel und der christlichen Tradition festzustellen.

Wenn man diese Feststellung auf den Erziehungskonsens bezieht, ergibt sich daraus als erste Aufgabe des Religionsunterrichtes die Vermittlung der Grundlagen. Wissenserwerb bedeutet vor allem das Kennenlernen von biblischen Texten. Hierbei muss man davon ausgehen, das Religion ein Schulfach wie die anderen Fächer auch ist (Religion kann auch Abiturfach sein). Diese sich auch aus Lehrplänen und Prüfungsordnungen ergebende Gleichwertigkeit der Fächer muss den Schülern durch entsprechende Hinweise und Maßnahmen (Benotung wie in anderen Fächern nach der erbrachten Leistung; Leistungsanforderungen und -kontrolle) bewusst gemacht werden.

So ergibt sich als Schwerpunkt für den Religionsunterricht in der Erprobungsstufe:

Was steht eigentlich in der Bibel?

Den Schülern müssen Namen wie Abraham, Mose und David wieder geläufig werden. Die biblische Tradition ist Grundlage und Richtschnur für einen kritischen Umgang mit den verschiedenen Formen der Überlieferung. Daher müssen die Schüler mit dem Buch "Bibel" umgehen können. Die Auswahl der Themen kann nach wie vor nach dem hausinternen Curriculum erfolgen.

Evaluationsmöglichkeiten: Innerhalb der Klasse Bibelquiz, evtl. Projekte etc.

Rückmeldungen der Religionslehrer aus der Sekundarstufe I und II über den jeweils aktuellen Stand der Bibelkenntnisse und mögliche Defizite. Diese Kontakte sollten sich angesichts der kleinen Gruppe an Lehrkräften informell ergeben können. Summarische Berichte können in der jeweiligen Fachkonferenz vorgestellt werden.

Zu Beginn der Sekundarstufe I (Jahrgangsstufe 7 und 8) zeigen sich deutlich Ansätze zu einer eigenständigen Entwicklung auch auf dem Gebiet der Glaubensüberzeugungen. Neugier in Bezug auf andere Religionen, Sekten und religiöse Erscheinungen und das sich entwickelnde Bedürfnis nach Kritik sind Kennzeichen. Damit gerät sozusagen entwicklungsbedingt der zweite Aspekt der im Erziehungskonsens formulierten Grundsätze in den Blick: Kritikfähigkeit und Verständnis. Unabhängig von der religiösen Überzeugung lässt sich dieser Aspekt formulieren als Feststellung:

Es gibt auch andere Positionen!

Damit ist zunächst die Notwendigkeit formuliert, andere religiöse Überzeugungen kennen zu lernen (wichtig sind hier vor allem Judentum und Islam); neben den Unterschieden müssten hier auch die gemeinsamen Wurzeln, Anliegen und Überzeugungen thematisiert werden. Aber daneben - und darin zeigt sich auch die Besonderheit des christlichen und konfessionellen Religionsunterrichtes - sind innerchristliche und innerkirchliche Meinungsunterschiede wichtig. In der Auseinandersetzung mit Paulus, Franz von Assisi und Martin Luther lassen sich nicht nur mögliche Varianten christlichen Verhaltens, sondern besonders auch Vorbilder und die Funktion von Vorbildern vermitteln.

Evaluationsmöglichkeiten: Schülerfragebogen, der als Abschluss des Halbjahres nach den aus Schülersicht für wichtig erachteten Themen fragt; Erfahrungsaustausch der Kollegen, besonders anlässlich einer neu übernommenen Gruppe; Rückmeldungen durch den Lehrer, der den Jahrgang 9 unterrichtet.

Aufgrund der entwicklungspsychologischen Gegebenheiten scheinen in der Jahrgangsstufe 9 zwei widersprüchliche Stellungen zu Religion und Kirche charakteristisch zu sein: die enge und bewusste Bindung an christliche Gruppen oder die offene, oft provokative Ablehnung all dessen, was mit Kirche und Christentum zu tun hat. Dies bedeutet nicht, dass religiöses Fragen auf keine Resonanz stößt. Dafür ist das Interesse für Phänomene, die normalerweise dem Bereich der Sekten und des Aberglaubens zugeordnet werden, zu groß. Zentral scheint das Bedürfnis nach einer unbedingt eigenen Position zu sein.

Damit sind mehrere Aspekte aus dem Erziehungskonsens berührt: "Mit Hinblick auf die Entwicklung der Persönlichkeit [...] bildet die Zivilcourage ein Grunderfordernis: die prinzipielle, inhaltliche Identität von eigenen Überzeugungen und selbstverantwortetem Handeln. Selbstkritisches Verhalten und das selbstbewusste Vertreten des eigenen Standpunktes sind die Zielpunkte." Hier müssen die Schüler lernen, auch gegenüber einer anders denkenden Mehrheit eigene Standpunkte zu vertreten. Das setzt aber bei allen eine andere Fähigkeit voraus: "das stete Bemühen um den Anderen als Partner, indem man sich auf der Basis der Anerkennung ein persönliches Verständnis fremder Positionen erarbeitet; Verständnis und wechselseitige Anerkennung sind die Basis von Toleranz." Dies lässt sich als Schwerpunkt so formulieren:

Mit anderen über Religion diskutieren!

Möglichkeiten, Kritikfähigkeit und Verständnis zu schulen, bietet hier die Auseinandersetzung mit fremden Religionen (Islam und Judentum). Im Unterschied zu der Jahrgangsstufe 7/8 kommt es hier darauf an, Vor-Urteile zu hinterfragen und Verständnis für bewusst abweichende Glaubensentscheidungen zu vermitteln. Daneben ist es wichtig, eine weitere Dimension religiöser Auseinandersetzung zu betonen: die Auswirkung religiöser Überzeugungen für scheinbar weltliche Entscheidungen (z.B. anhand des Themas "Todesstrafe") und für eigene Lebensentwürfe (Vorstellungen von gelungenem Leben).

In der Sekundarstufe II wird neben dem Fortführen der für die Sekundarstufe I genannten Aspekte eine methodisch-reflektiertere Stellung verlangt. Als Schwerpunkt lässt sich die Frage formulieren:

Wie argumentiert man in Glaubensfragen?

In den einzelnen Bereichen, die im schulinternen Curriculum festgelegt sind, ist jeweils nach der Möglichkeit argumentativer Auseinandersetzung zu fragen, danach, wo denn der Glaube eigentlich beginnt. Schwerpunktthemen sind hierbei das Verhältnis von Naturwissenschaft und Religion und verschiedene Möglichkeiten des Umgangs mit der Bibel. Zielpunkt des Unterrichtes ist hier nicht eine bestimmte Glaubensüberzeugung, sondern die Fähigkeit, die jeweils eigene Glaubensentscheidung - soweit möglich - argumentativ zu begründen.

Angesichts der geringen Kursgrößen in der Oberstufe werden häufig die Jahrgangsstufen Q1 und Q2 zu einem Kurs zusammengefasst. Um hier eine langfristige Planung der Unterrichtseinheiten und ein Abstimmen der jeweiligen Kursthemen zu ermöglichen, ist hier eine frühzeitige Information des Kurslehrers notwendig.

Evaluationsmöglichkeiten: Da die Schüler in der Oberstufe zum Teil auch von anderen Schulformen übergewechselt sind, bietet es sich zu Beginn der Jahrgangstufe EF an, eine Befragung der SchülerInnen über Bereiche des Grundwissens, bewusste Defizite, Interessen und religiöse Einstellungen durchzuführen. Die Ergebnisse müssten über die Fachkonferenz an die Fachlehrer der Unter- und Mittelstufe weitergegeben werden.