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[ Berichte > Berichte für das Jahr 2006 > Bericht vom 15.09.2006 ]

Für Tränen blieb keine Zeit

Anita Lasker-Wallfisch hat den Holocaust erlebt und überlebt. Mit dem Buch "Ihr sollt die Wahrheit erben" hat die heute 81-Jährige ihre Erinnerungen veröffentlicht. Im Maximilian-Kolbe-Gymnasium las sie am 14.09.2006 daraus vor.

Anita Lasker-Wallfisch im Gespräch mit SchülerInnen des MKG Wegberg (RP-Foto: Günter Passage)

"Da stand ich also, splitternackt und ohne Haare, mit einer Nummer auf dem Arm. In kürzester Zeit fand man sich jeder Faser menschlicher Würde beraubt", liest Anita Lasker-Wallfisch mit klarer Stimme aus ihrem Buch vor. Die Zuhörer, Oberstufenschüler des Maximilian-Kolbe-Gymnasiums, lauschen gebannt. "Ihr sollt die Wahrheit erben" heißen die Erinnerungen von Lasker-Wallfisch. In verständlicher Sprache erzählt sie von ihrer Familie, der Kindheit in Breslau, ersten antisemitischen Beschimpfungen - da war sie gerade acht Jahre alt. 1942 werden ihre Eltern deportiert. Zusammen mit ihrer Schwester versucht sie die Flucht, wird verhaftet, verurteiltet und kommt 1943 nach Auschwitz.

Cellistin im Lagerorchester

"Anita Sara Lasker. Mit allen Sachen." Nach diesen Worten des Gefängniswärters verabschiedet sie sich von ihrer Schwester. "Für Tränen blieb keine Zeit." Als verurteilte Verbrecherin umgeht sie die Selektionsrampe. Als man erfährt, dass sie Cello spielt, wird sie in das Mädchenorchester des Lagers aufgenommen. Später wird sie nach Bergen-Belsen verlegt. Kurz vor Kriegsende muss sie Leichen räumen. "Die Menschen starben wie die Fliegen. Wir schafften aber nicht mehr als 50 Leichen am Tag, weil wir selbst zu schwach waren." Am 15. April 1945 wurde das Lager von der britischen Armee befreit. "Die Franzosen gingen zurück nach Frankreich, die Belgier zurück nach Belgien. Aber ich war eine Deutsche. Wo sollte ich hin?" Sie ging
nach England, spielte im Londoner English Chamber Orchestra, gründete eine Familie und schwor sich, nie wieder einen Fuß auf deutschen Boden zu setzen.

"Ich bin eidbrüchig geworden. Ich bereue es nicht", sagt die heute 81-Jährige bei der anschließenden lebhaften Diskussion mit den Schülern. "Ich möchte Ihnen zeigen, wie es damals war, als Jude in Deutschland zu leben. Ein Einzelschicksal taugt wohl eher zur Identifikation als eine siebenstellige Opferzahl." 69 388 - diese Nummer steht nun seit über 60 Jahren auf ihrem linken Unterarm. "Warum haben sie sich das Tattoo nie wegmachen lassen?", möchte ein Schüler wissen. Mit dieser Frage hat sie gerechnet. "Dann würde ich den Holocaust ja selber verleugnen." - "Wie konnten sie nach alldem wieder ein normales Leben führen?" - "Das Gefühl für Maß musste erst wiederkommen. Als ich kurz nach Kriegsende an einem Friedhof vorbeigegangen bin, musste ich lachen: Für jeden Toten ein Grab. Ich war etwas anderes gewohnt." Die Autorin nahm sich Zeit, alle Fragen zu beantworten. "Seien Sie Menschen, bevor sie Deutsche, Polen oder sonst was sind. Wir leben in einer wunderschönen Welt, wenn wir sie nicht kaputt machen", lautete ihre Botschaft an die Schüler, die heute so alt sind, wie sie damals.

Die Oper

Am Samstag, 16. September, hat das Musiktheater "Das Frauenorchester von Auschwitz" Premiere im Theater Mönchengladbach. Der Bochumer Stefan Heucke hat es nach dem Roman "Das Mädchenorchester von Auschwitz" von Fania Fenelon entwickelt. Lasker-Wallfisch: "Ich habe den Regisseur gefragt, warum dort zwei Cellistinnen sitzen - die eine ist eine Sängerin und muss nur so tun, als könne sie spielen. In Wahrheit war ich die einzige Cellistin der Kapelle."

Quelle: Samuel Hörster
Rheinische Post (15.09.2006)