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[ Berichte > Berichte für das Jahr 2009 > Bericht vom 04.02.2009 ]

"Kanake verrecke" -
Wie Nazis Jugendliche manipulieren

Warum ist Musik mit rechtsextremistischen Inhalten gefährlich? Eigentlich kann das jeder Jugendliche beantwortet - weil jede/r viel lieber und sehr häufig Musik hört als sich mit politischen Texten zu beschäftigen. Die Musik nutzen wir beim Feiern, zum Entspannen und für den Austausch im Freundeskreis. Musik macht Spaß, macht Laune, gehört zu unserer Freizeit wie oft auch der Alkohol, der Nachdenken und Hinterfragen verhindern kann.

Deutschlandweit existieren mehrere Dutzend Neonazi-Bands, die es nicht nur auf ihre bestehende Szene abgesehen haben, sondern deren vor allem von Erwachsenen als provozierend wahrgenommene laute und textlich meist nicht der politischen Korrektheit entsprechende Musik als "Einstiegsdroge" für Jugendliche in rechtsextremistische Kreise dient. Gerade die besonders laute, aus Punk- und Oi-Szene kommende Musik ist nach wie vor gefragt. Zielgruppe: Jugendliche ab der Pubertät. Denn dann sind sie besonders beeinflussbar, wie auch die rechte Szene weiß. Spaß wird versprochen, Abwechslung vom tristen Alltag, Ablenkung der Aggressionen in die Musik und in den Alkohol. Das gelingt auch in der Regel. Doch was die Hörer und Konzertbesucher auch abbekommen, sind knallharte politische Botschaften, die meist in knackigen Schlüsselbegriffen verpackt werden. Hauptbotschaft: Es gibt Menschen und Gruppen, die gehören "zu uns", zum deutschen Volk, andere eben nicht.

"Kanake verrecke" heißt so ein Lied, und der Text ist so heftig wie’s der Titel verspricht. Es geht um die, die alles schuld sind, die man weghaben will: Ausländer, die Linken, die Medien, die Politik. Vor allem die Ausländer, das "ausländische Mordsgesindel".

Skin-Bands wie früher die "Landser" reisen in Sachen Gewaltverherrlichung und Skinhead-Musik durch die Lande und bedienen die Wünsche der Konzertveranstalter, die genau wissen, dass sie über Musik und geile Events viel schneller Nachwuchs rekrutieren und Botschaften in die Köpfe einhämmern als mit jeder anderen Veranstaltungsform.

Folgerichtig findet man auf den Konzerten und natürlich auch im Internet nicht nur die übliche CD- und Souvenir-Ecke einer Band oder eines Vertriebs, sondern genügend Ansprechpartner aus der rechten Ecke. Folgerichtig wird dafür gesorgt, dass sich die Kunde von neuen angesagten Bands blitzschnell in Deutschland herumspricht. Nach wie vor gehören deutsche Schulhöfe zu den beliebtesten Verteilpunkten auch kostenloser Musikträger. Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), die in den Landtagen von Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen vertreten ist, hat seit 2004 ganz offen "Schulhof-CDs" mit Texten zum rechten Selbstverständnis herausgebracht. Angegebene Auflage: mehrere hunderttausend.

Mit ihrem Verständnis von Politik, mit ihren Fingerzeigen auf Minderheiten als Sündenböcke, ihrer Musik und ihrer Mode sind Rechtsextremisten mittlerweile Teil der Jugendkultur. Ihr Bemühen wird es weiterhin sein, einen möglich großen Einfluss auf Jugendliche ausüben zu können. Das Ziel ist ein anderes, undemokratisches Deutschland.

Seitdem die Polizei genau weiß, wie wichtig die Konzerte rechter Skinhead- oder Hardcore-Bands für die Rekrutierung des Nachwuchses und die Kontaktpflege innerhalb der Szene sind, versucht sie durch gezielte Bekämpfung und Verfolgung so viele Konzerte wie möglich zu verhindern.

Eine Zunahme anderer Art wird in den deutschen Medien bisher kaum beachtet. Es gibt eine starke Nachfrage nach sogenannten "nationalen Liedermachern". Die setzen sich mit einer Gitarre in der Hand vor ihr Publikum und singen anspruchsvollere Texte als die Skin-Bands, die aber in ihrer Deutlichkeit genauso ankommen. Hier hat der Staat wegen der wesentlich künstlerischeren Texte oft einen schweren Stand. Auch rechten Liedermachern muss nämlich die grundgesetzlich garantierte freie Meinungsäußerung mit solchen Erscheinungsformen wie der Satire zugestanden werden.

Gegenüber einer CD des bekanntesten Neonazi-Liedermachers Frank Rennicke hat die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften einen wahrhaft dicken Schriftsatz mit sehr detaillierter und dennoch manchmal schwieriger Begründung gebraucht, um sie auf die Liste jugendgefährdender Medien (Index) zu setzen, der zumindest die Unter-18jährigen schützen soll. Kommt eine CD auf diesen Index, darf zum Beispiel keine Werbung mehr dafür gemacht werden, sie darf nicht im Radio gespielt werden, nicht offen zum Verkauf herumliegen - kurz: Jugendlichen in keiner Form zugänglich gemacht werden.

So stehen auch die im Jahr 2001 verhafteten und 2003 als kriminelle Vereinigung verurteilten "Landser" auf diesem Index oder auch die "Zillertaler Türkenjäger", die mit einer CD mit lauter Cover-Versionen auf Evergreens vor einigen Jahren die Szene-Charts erstürmten. Neben der harten Skin-Musik für die Jüngeren und den gut zu Veranstaltungen passenden Liedern eines Rennicke haben die eine andere Zielgruppe entdeckt: die älter werdenden Neonazis mit Familie, Freunden und Kindern, die in Ruhe zu Hause sitzen und feiern wollen.

Da wird aus "Sonderzug nach Pankow" der "Sonderzug nach Mekka", und natürlich haben die "Zehn kleinen Negerlein" einen rassistischen Text. Das Gemeine bei dieser Band ist, dass sie auf Humor setzen. Denn wer von uns hat noch nicht zu einem Witz lächeln können, selbst wenn er rassistisch ausgelegt war?

Skin-Musik, Liedermacher/innen und humoristische Cover-Versionen - das sind die bekanntesten Etiketten der aktuellen rechtsextremistischen Musik. In den Texten nehmen sie sich nichts. Und gefährlich sind alle drei Formen. Denn sie zielen auf die Unzufriedenheit junger Leute. Sie entfremden sie der Realität, reden ihnen viele Sündenböcke ein und halten sie zusammen, wenn die Leute Teil des "nationalen Widerstandes" geworden sind.

So witzig sich manches anhören mag, so cool es teilweise für uns ist, sich solche Sachen anzuhören - die Musik wird von Leuten gemacht, die junge Leute für ihr Ziel eines anderen Deutschland gewinnen wollen - ein Deutschland, in dem die von den Nazis definierten "Störenfriede" (vielleicht ja auch jeder von uns) keinen Platz mehr haben. Es lohnt, sich mit der Absicht dieser Musik auseinander zu setzen, die Hintergründe zu kennen und miteinander über das Thema zu reden.

So können wir auch die Versuche erkennen und bewerten, über Black Metal, Dark Wave, Hatecore oder gar HipHop rechtsextreme Ideen verbreiten zu wollen, wie es die Szene seit einiger Zeit versucht.

Es lohnt sich, dem Versuch der Nazi-Szene, Jugendliche mit ihrer Lieblingsmusik erreichen zu wollen, etwas entgegenzusetzen. Denn das Ziel dieser Musik ist immer das Gleiche:

Ein anderer, undemokratischer Staat. Gesäubert von allen Menschen, die nicht so ticken wie die Neonazis.

Dabei ist es nicht wichtig, ob wir selbst Menschen angreifen und verletzen würden, weil sie anders sind oder sich in der Politik engagieren. Schon wenn wir zulassen, dass dies geschieht, befinden sich die Nazis auf Erfolgskurs.

© Hans Joachim Stockschläger, 2/2008